29.11.2017
Nächster Halt: Leichenhalle!
Mord im Orient-Express
Murder on the Orient Express
USA, Großbritannien, Malta 2017.
Regie: Kenneth Branagh
Am 1. Januar 1934 veröffentlichte die britische Schriftstellerin Agatha Christie das Buch "Murder on the Orient Express", und seitdem hat es schon einige Verfilmungen des Stoffs gegeben. Die bekannteste ist sicherlich die unter der Regie von Sidney Lumet entstandene Fassung aus dem Jahre 1974, unter anderem mit Lauren Bacall und Sean Connery. Schon damals hatte es also Tradition, solche klassischen "Whodunnit"-Filme, die sich mit der Jagd nach einem Mörder in einem kammerspielähnlichen Setting befassen, mit einem überbordenden Starensemble zu besetzen. Nun hat sich der rennomierte ehemalige Shakespeare-Darsteller Kenneth Branagh des Buches angenommen, und eine modernisierte Fassung auf die Leinwände gebracht. Damit stellen sich grundsätzlich zwei Fragen. Die erste Frage ist die, die sich bei jedem Remake anbietet, also ob es überhaupt notwendig war, eine neue Version eines bereits existenten Films zu drehen. Zweitens sollte man die Frage stellen, ob die Geschichte aus der mittlerweile über achtzig Jahre alten Vorlage überhaupt noch zeitgemäß ist und auch im modernen Mainstream-Kino eine Nische finden kann, in der sie funktioniert. Also: Schauen wir mal!
Ein Star-Ensemble sondergleichen
Schon das Filmplakat zeigt, dass bei der Besetzung nicht an großen Namen gespart wurde, dieser Tradtion bleibt Branagh also treu. Er selbst übernimmt die Hauptrolle des belgischen Meisterdetektivs Hercule Poirot, und neben ihm spielen unter anderem Johnny Depp, Willem Dafoe, Judy Dench, Michelle Pfeiffer und Daisy Ridley. Das lässt schonmal auf Großes hoffen. Auch die Wahl des Kameramanns weiß zu gefallen, Kenneth Branagh engagierte erneut den Zyprioten Haris Zambarloukos, der uns Cineasten schon bei "Thor" (Branangh 2011) mit beeindruckenden Bildern versorgt hatte.
Ein klassischer Detektivfilm
Der Film beginnt mit einer klassischen Exposition. Der Zuschauer wird zuerst mit dem Hauptcharakter, dem Meisterdetektiv Hercule Poirot, und seinen vielen Eigenarten bekannt gemacht, und dann in das Ensemble eingeführt. Jeder der im Zug mitreisenden Charaktere bekommt eine kleine Hintergrundgeschichte verpasst, um so einen Platz im Handlungsgefüge zu erhalten. Dabei wird natürlich an Stereotypen nicht gespart, vom halbseidenen Gangster bis zur leichtherzigen Lady ist alles vertreten, was zu einer klassischen Detektivgeschichte gehört. Die Inszenierung von Branagh funktioniert gut, sie nimmt den Zuschauer mit und lässt keine Langeweile aufkommen. Gerade letzteres ist ja nicht unbedingt einfach, da davon ausgegangen werden muss, dass viele der Zuschauer die 74er Verfilmung und damit die Handlung bereits kennen. Somit passieren auf der Handlungsebene zwar wenige Überraschungen, aber dafür trägt die Leistung der Schauspieler das Geschehen auf der Leinwand. Insbesondere gefiel mir der Hauptdarsteller Kenneth Branagh, der die nahezu autistischen Züge des Meisterdetektivs Poirot gut in Szene setzte, und mit den Charakter dadurch näher brachte als seinerzeit Albert Finney, oder auch Sir Peter Ustinov als Poirot in "Tod auf dem Nil" (Guillermin 1978).
Kleiner Raum, große Bilder
Nach dem Verlassen des Bahnhofs finden die Geschehnisse logischerweise nur noch in dem titelgebenden Zug statt, die Zahl der Örtlichkeiten ist also von da an stark beschränkt. Wir sehen hauptsächlich Zugkabinen, die Bar und das Restaurant. Kameramann Zambarloukos lockert diese vermeintlich Enge aber geschickt auf, auf der einen Seite durch vielfältige Perspektivenwechsel der Kamera, die auch schonmal von oben durch die Decke auf die Protagonisten herab schaut, auf der anderen Seite aber auch durch viele eingeflochtene Szenerie-Bilder, die wie Establishing-Shots eine weitschweifende Kamerafahrt auf die Umgebung des Zuges anbieten. Gelungen!
Alles wie gehabt?
Auf die Handlung möchte ich wie in den meisten Filmbesprechnungen hier in der WeltDerMedien.de nicht weiter eingehen, zumal sich dieses insbesondere bei dem Genre der Krimis verbietet. Wie sich jeder denken kann, geschieht ein Mord, und Hercule Poirot wird mit der Suche nach dem Täter beauftragt, die beendet sein muss, bis der Zug im nächsten Bahnhof einfährt. Die Charaktere wandeln sich im Verlauf der Ermittlungen und zeigen ihre wahren Gesichter, und nichts ist am Ende so, wie es am Anfang schien - das Drehbuch schafft es also, die Wendungen der Vorlage von Agatha Christie gut umzusetzen. Der Film unterhält und das Suchen nach Hinweisen auf den Mord macht Spaß, selbst wenn die Geschichte schon bekannt ist. Und das zeichnet für mein Dafürhalten diesen Film aus. Dem Ensemble ist es gelungen, trotz altbekannter Handlung einen mitreißenden Kinobesuch zu ermöglichen.
Musste das denn sein?
Ich möchte an dieser Stelle gerne auf die eingangs von mir aufgeworfenen Fragen zurückkommen. War es denn notwendig, einen weiteren Film über den "Mord im Orient-Express" zu drehen? Vor dem Gang ins Kino war ich gespannt, ob Branagh sich tatsächlich genau an die Vorlage halten würde, oder ob er wegen des Wissens über die Bekanntheit des Stoffs ausbrechen und eine neue Auflösung anbieten würde. Branagh entschied sich offenbar für ersteres, damit empfinde ich den Film leider als zwar sehr gut umgesetzt und unterhaltsam, aber dennoch als redundant. Die Filmtechnik ermöglicht zwar modernere und schönere Bilder als 1974, im Kern ist es allerdings der gleiche, handlungsbasierte Film geblieben wie damals. Allerdings denke ich, dass die Geschichte nicht veraltet ist und auch heutzutage durchaus noch einen Platz im Mainstream-Kino hat, und daher für einen spannenden Kinobesuch sorgen kann. Der Film hat mir durchaus gut gefallen, nur hätte ich mir etwas mehr Mut von Branagh gewünscht, sich von der Vorlage zu lösen um einen eigenständigeren Mord im Orient-Express zu drehen.
Autor: © http://www.weltdermedien.de 2017