03.10.2005
Gib mir mein Herz zurück
Das wandelnde Schloss
Hauru no ugoku shiro
Japan, 2004.
Regie: Hayao Miyazaki
Das seit 1985 existierende Studio Ghibli (Ghibli ist der arabische Begriff
für den heißen, nördlichen Wüstenwind in der Sahara) um
Hayao Miyazaki ist in Japan ein Garant für volle Kinosäle, nur hierzulande
tun sich die japanischen Animationsfilme, oder Animes, noch etwas schwerer und
gelten zumeist noch als Kinderfilme. Allerdings tut man diesen Werken damit
Unrecht, denn vor allem Miyazakis Kreationen wie zum Beispiel "Chihiros
Reise ins Zauberland" (Miyazaki, 2001) geben sich weitaus vielschichtiger
als der übliche, einfach gestrickte Dreamworks- oder Disney-Standard. Doch
mehr und mehr fühlen sich auch Erwachsene von den Filmen angesprochen,
denn so war zum Beispiel die Kinovorstellung, in der ich den neuen Anime des
Studio Ghibli sah, trotz einer ungewohnt frühen und kinderorientierten
Uhrzeit am späten Nachmittag ausschließlich von Erwachsenen besucht.
"Das wandelnde Schloss" basiert auf dem 1986 erschienenen Kinderbuch
"Howl's moving castle" (dt. "Sophie im Schloss des Zauberers")
der bekannten englischen Schriftstellerin Diana Wynne Jones. Nicht zuletzt auch
J. K. Rowling hat sich stark von der literarischen Schatzkiste Jones' inspirieren
lassen, denn insbesondere die englische Zauberschule Schweinewarzen, also Hogwarts',
kann eine gewisse Ähnlichkeit mit dem sich ständig verändernden
Schloss des Zauberers Howl nicht von der Hand weisen. Und nun kommt mit "Das
wandelnde Schloss" die japanische Verfilmung des englischen Kindermärchens
in die deutschen Kinos...
Ein junges Mädchen namens Sophie arbeitet als Hutmacherin in einem Laden,
und ist mit ihrer Situation eher unzufrieden, beruflich wie persönlich,
und fühlt sich deswegen häßlich. Dann begegnet sie in der Stadt
einem seltsamen Mann, der auf der Flucht zu sein scheint, in den sie sich aber
verliebt.
Am Abend kommt die böse Hexe des Westens, die eben jenen mysteriösen
Mann sucht und verfolgt, in Sophies Hutladen, und verflucht sie. Dadurch steckt
Sophie nun im Körper einer 90jährigen Oma, und nur manchmal, in Momenten
des Glücks und des guten, inneren Gefühls, wird sie wieder zu dem
jungen Mädchen, das sie eigentlich ist. Wegen dieses Fluches beschließt
sie, niemandem diesen alten Körper zumuten zu können und verläßt
ihre Familie und ihr Geschäft. Auf ihrer Wanderung begegnet sie einer lebendigen
Vogelscheuche, die sie zum wandelnden Schloss lotst, einem Techno-Robot-Koloss,
der ein wenig einer Wohnsiedlung auf 2 Beinen ähnelt. Darin trifft sie
auf einen kleinen Jungen, einen Feuerdämon, und den Magier des Schlosses
selber, der rein zufällig jener Mann ist, in den sie sich in ihrer Heimatstadt
verliebt hatte, und den die böse Hexe des Westens verfolgt. Parallel zu
diesem Geschehen bricht ein Krieg aus, und der König, respektive dessen
Hofzauberin, ruft alle Magier zusammen, um sie für den Krieg zu instruieren.
Der Zauberer des wandelnden Schlosses schickt allerdings Sophie, denn sie soll
seine Mutter spielen und ihn vertreten, denn er selber ist zu feige...
Japanische Filme stellen europäische Zuschauer oft auf eine harte Probe,
denn die kulturellen Unterschiede machen es oft recht schwierig, japanische
Symbolismen erkennen und lesen zu können. "Das wandelnde Schloss"
stellt hierbei eine interessante Ausnahme dar, da hier die Vorlage aus Europa
kam, und der Film sich entsprechend gibt. Zu Beginn fühlte ich mich angesichts
idyllischer Bergkulissen unvermittelt an die japanische "Heidi" Anime
Serie erinnnert, und siehe da, im Laufe meiner Recherchen stieß ich auch
ohne Hilfe durch Bob Andrews auf den Umstand, dass Hayao Miyazaki bereits an
"Anne mit den roten Haaren" (Takahata, 1979) und eben "Heidi"
(Takahata, 1974) mitarbeitete. So kann man sich leicht das Bild vorstellen,
welches sich vor den Augen des Zuschauers entfaltet. Anleihen aus der Romantik
und deutliche Darstellung diverser Motive des Sturm und Drang sind hier an der
Tagesordnung, denn die Natur und das Herz sowie Gefühle als Idee spielen
eine tragende Rolle.
Das Setting des Films spielt in einer Welt zwischen Technik, Magie und einer
verklärten Ländlichkeit. Während die liebenswerten Charaktere
ihren Alltag zwischen Magie und Monarchie in detailverliebten, wunderschön
gestalteten und farbenfrohen Kulisse verbringen, bricht ein Krieg aus, und droht
die Idylle zu zerstören. Hinzu kommen anschwellende, innere Zwiste eines
jeden einzelnen der im Zentrum stehenden Protagonisten, die aus Mutlosigkeit
nicht an ihre eigenen Fähigkeiten glauben und daher auch nicht ihre Gefühle
anderen gegenüber umsetzen können, und sich auf diese Wiese selber
isolieren. Ich lese den Film als Aufforderung zur Toleranz und zu einem offeneren
und ehrlicheren Umgang miteinander, wodurch viele Probleme umgangen werden könnten,
was gerade vor dem aktuellen weltpolitischen Hintergrund eine wichtige Botschaft
ist. Damit verbinde ich diesen Film auch ein stückweit mit den Epen des
japanischen Regisseurs Akira Kurosawa, der insbesondere in seinem späten
Meisterwerk "Ran" von 1985 mit ähnlichen Gedanken und Aussagen
spielt.
Technisch ist der Film sehr gelungen, auch wenn er für meinen Geschmack
etwas zu statisch geraten ist. Kameraschwenks und -fahrten gibt es nur selten,
denn meistens werden nur einfache, unbewegte Einstellungen per Schnitt aneinander
gereiht. Erst gegen Ende von "Das wandelnde Schloss" entsteht eine
gewisse Dynamik auch im Ablauf der Bilder, exzellent unterlegt durch den klassischen
Soundtrack.
Zusammenfassend hat der Film mir persönlich recht gut gefallen, auch wenn
es mir wie geschildert etwas an Dynamik mangelte. "Das wandelnde Schloss"
ist ein phantasievoller Film, der sich trotz aller Märchenhaftigkeit vielschichtig
gibt und auch für Erwachsene eine Menge zum Nachdenken bieten kann. Die
vielen beeindruckenden Bilder entführen den Zuschauer in eine Welt, die
gar nicht mal so fremd ist, wie es anfangs scheinen mag. Wenn man sich darauf
einlässt...
Autor: © http://www.weltdermedien.de 2005