23.10.2005

Vorsicht! Bissige Bücher voraus!

Die Stadt der träumenden Bücher
Piper Verlag, München : 2004.
Autor: Walter Moers

 

"Und da waren sie, die Träumenden Bücher. So nannte man in dieser Stadt die antiquarischen Bestände, weil sie aus der Sicht der Händler nicht mehr richtig lebendig und noch nicht richtig tot waren, sondern sich in einem Zwischenzustand befanden, der dem Schlafen ähnelte. Ihre eigentliche Existenz hatten sie hinter sich, den Zerfall vor sich, und so dämmerten sie vor sich hin, zu Millionen und Abermillionen in all den Regalen und Kisten, in den Kellern und Katakomben von Buchhaim. Nur wenn ein Buch von suchender Hand ergriffen und aufgeschlagen wurde, dann konnte es zu neuem Leben erwachen. Und das war es, wovon all diese Bücher träumten." (S. 32 f.)

Schön, oder?

Da ist es endlich, das neue Buch von Walter Moers. Und es ist, das sei zugleich bemerkt, ein mehr als würdiger Nachfolger von "Rumo und die Wunder im Dunkeln" (2003) und "Die 13 ½ Leben des Käpt'n Blaubär" (1999)! Die Handlung spielt erneut auf dem Kontinent Zamonien, und wie immer versteht sich Walter Moers nicht als Autor, sondern als Übersetzer, der den zamonischen Ausgangstext in einen für uns verständlichen, deutschen Zieltext umwandelt.

Die Handlung dreht sich um den seit "Ensel und Krete" (2000) bekannten Schriftsteller Hildegunst von Mythenmetz, der hier von seinem Mentor Danzelot von Silbendrechsler den ultimativen Text präsentiert bekommt. Dieser stürzt Mythenmetz in eine Schaffenskrise, denn er glaubt, eine solche Perfektion als Schriftstellen nie selber erreichen zu können. Daher begibt sich Hildegunst auf eine Reise, er verlässt die Lindwurmfeste (die Schriftsteller-Bastion Zamoniens) und begibt sich nach Buchhaim, die Stadt der Bücher, um den Schöpfer des wohl besten Textes aller Zeiten ausfindig zu machen. Dass dies nicht so einfach ist, versteht sich von selber...

In diesem Buch geht nicht nur Gefahr von feindlich gesinnten Kreaturen aus, denn die Bücher selber erweisen sich als lebensgefährlich. Und das nicht nur aufgrund ihres Inhaltes, wie man bei solchen Zeilen vermuten könnte:

"Wenn man sich eine unsichtbare Welt vorstellt, die innerhalb einer sichtbaren existiert, die aber sichtbar ist, wenn die sichtbare unsichtbar wird, also immer wenn sich die Sicht der unsichtbaren, bzw. sichtbaren, auf sie richtet, dann würde das Unsichtbare sichtbar - vorausgesetzt, dies alles würde von einem Unsichtbaren betrachtet, der sich innerhalb einer sichtbaren Welt befindet, die sich von einem anderen Unsichtbaren vorgestellt wird, den ein Sichtbarer nicht sehen kann - weil das Licht aus ist." (S. 219)

Dies ist eine Ausschnitt aus dem Schweren Buch, welches seinen Namen nicht umsonst trägt!

Die wahre Gefahr geht aber von Büchern aus, die verletzen, vergiften und auch töten können...von Lebenden Büchern...

Walter Moers entführt den geneigten Leser auch hier wieder in einen phantastischen Kosmos voller Imagination und Ideenreichtum. Er erschafft eine geschlossene, in sich stimmig wirkende Welt, die vor Details nur so strotzt, und den Leser die Zeit vergessen lässt. Sobald sich dieser nämlich der ersten Zeile des Buches annimmt, wird er von der Schönheit der Geschichte aufgesogen werden und das 456-seitige Werk erst nach seiner Beendigung aus der Hand legen. Und keine einzige Minute davon wird er bereuen (zumindest ging es mir so)!

Schließlich bekommt der Leser auch unter anderem gute Tipps zum eigenen Verfassen eines Buches, so zum Beispiel "Schreibe nie einen Roman aus der Perspektive einer Türklinke", "Fremdwörter heißen so, weil sie den meisten Lesern fremd sind!", "Bei einem Dichter klauen ist Diebstahl, bei vielen Dichtern klauen ist Recherche" oder "Wenn dich einer deiner Sätze an den Rüssel eines Elefanten erinnert, der versucht, eine Erdnuss aufzuheben, dann solltest du ihn überdenken." (S. 267)

Und verpackt in diese gelungene Erzählung um Hildegunst von Mythenmetz und seine Abenteuer in Buchhaim versteckt Walter Moers wieder mehr oder weniger augenscheinliche Kritik an unserer Zeit. Der Leser selber kann jedoch entscheiden, ob er oder sie einen Bogen zu unserer Realität schlagen möchte, oder das parabelhafte beiseite lassen mag, und die Geschichte nimmt wie sie ist.

Auch in "Die Stadt der Träumenden Bücher" hat Walter Moers wie üblich eine Reihe von großartigen Illustrationen abgeliefert, die zu der phantastischen Atmosphäre des Buches einiges beitragen, das Werk abrunden und perfektionieren.

Zuletzt bleibt nur noch zu sagen, dass das Buch eindeutig zu kurz war...Ich denke, ich werde direkt noch einmal mit "Blaubär" beginnen und mich chronologisch vorarbeiten. Denn von solch einzigartiger Literatur kann ich kaum genug lesen.

 

Autor: © http://www.weltdermedien.de 2005